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Hildegard von Bingen – und die Wirkung der Heilsteine

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Kaum eine andere Frau der mittelalterlichen Geschichte war eine so außergewöhnliche Persönlichkeit wie Hildegard von Bingen. Sie wurde 1098 geboren und avancierte als Nonne im Laufe der Zeit zur Äbtissin eines selbstgegründeten Klosters.

Dort betrieb sie ein Klosterspital, für deren Patienten sie sich ständig weiterbildete. Ihre Experimente mit den Gaben der gottgegebenen Natur machten Hildegard zu einer Expertin in der Heilkunde der damaligen Zeit. Die Äbtissin tat sich außerdem als Komponistin und Dichterin hervor, sodass man Hildegard von Bingen als Universalgelehrte ihrer Zeit bezeichnen kann.

Aber ihr Hauptinteresse galt der göttlichen Schöpfung. In der Natur suchte sie nach Hilfe für die Leiden der Menschheit. Von der Wirkung vieler Pflanzen, Kräuter und Bäume, aber auch Mineralien als Heilsteine und Metallen, war die Nonne fest überzeugt.

Als Hildegard von Bingen 1179 im Kloster Rupertsberg starb, hinterließ sie eine Vielzahl an Schriften, darunter auch Aufzeichnungen zum Thema „Heilsteine“.

Eine mutige und selbstbewusste Frau

Aus heutiger Sicht ist Hildegard von Bingen eine außergewöhnliche Frau gewesen. Selbstbewusst setzte sie sich teilweise über die geltenden, gesellschaftlichen und religiösen Regeln hinweg, indem sie sich nichts vorschreiben ließ. Grundsätzlich beschritt sie ihren eigenen Weg und war damit allen anderen Frauen im Mittelalter weit voraus.

Charisma und Überzeugungskraft

Allerdings war die intelligente Nonne immer vorsichtig genug, um den Zorn der Kirche zu umgehen. Alle Gedanken, Erkenntnisse und Forschungen mussten im „göttlichen Rahmen“ bleiben, damit nicht der Eindruck von Ketzerei und Hexerei entstand. Deshalb bezeichnete sich Hildegard selbst als „ungebildete“ Dienerin Gottes, die einzig göttliche Anweisungen aus ihren immer wiederkehrenden Visionen befolgte.

Da Frauen für philosophische und theologische Erkenntnisse als ungeeignet galten, konnte sie mit dieser Erklärung den hauptsächlich männlichen Widerständen geschickt ausweichen. Denn ihre hoch moralischen Ansichten beeindruckten auch Laien aus dem Adel und der normalen Bevölkerung. Hildegard von Bingen brachte neue Anregungen und Blickwinkel in eine durch Dogmen strikt geregelte Weltansicht. Dadurch wurde sie zu einer einflussreichen Beraterin mächtiger Personen und von vielen schon zu Lebzeiten als „Heilige“ verehrt.

Wissenschaftliches Denken im „dunklen“ Mittelalter

Wenn man bedenkt, das Hildegard von Bingen schon mit acht Jahren von ihren adligen Eltern einer religiösen Erziehung übergeben wurde, um in einem gottgeweihten Leben der Kirche zu dienen, kann ihre Fähigkeit und ihr Mut selbstständig zu Denken, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Schon als Magista der Klosterschülerinnen lockerte die junge Hildegard eigenmächtig die Askese-Vorschriften und kürzte die langen Gebets- und Gottesdienstzeiten, ganz gegen den Willen der verantwortlichen Mönche.

Im Jahre 1141 beginnt Hildegard mit der Niederschrift ihrer Visionen und den daraus entstehenden theologischen und anthropologischen Vorstellungen. Sechs Jahre später erhält sie vom Papst die Erlaubnis, ihre Schriften zu veröffentlichen. Dadurch wächst auch Hildegards politische Bedeutung und sie kann endlich allen Widerständen zum Trotz, zwischen den Jahren 1147 und 1150 das gewünschte Kloster Rupertsberg gründen.

Als Äbtissin übergab sie die Leiden der Menschen jedoch nicht untätig der Güte und Barmherzigkeit Gottes, wie es in ihrer Zeit üblich war, sondern begann selbstständig nach Lösungen zu suchen. Deshalb kann ihr im Nachhinein auch ein großes wissenschaftliches Interesse bescheinigt werden, das sich über zeitgemäße Grenzen hinausbewegte, auch wenn sie selbst keine völlig neuen medizinischen Verfahren entwickelt hat.

Hildegards Verdienst lag in der Fähigkeit, medizinische Kenntnisse aus dem griechischen und lateinischen Sprachraum, mit dem Wissen der deutschen Volksmedizin zu kombinieren. Denn sie war eine hervorragende Beobachterin und notierte sich alles, was ihr wichtig erschien. Ideenreich erforschte sie die verschiedenen Wirkungen der Pflanzenwelt auf den menschlichen Organismus und stellte vor allem bei der Anwendung von Heilsteinen schon früh psychosomatische Zusammenhänge fest. Diese Erkenntnisse hatten einen großen Einfluss auf die Geschichte der Klosterheilkunde.

Körper und Sexualität

Mutig entwickelte Hildegard eigene Ansichten zum Thema „Krankheitsentstehung“ und „Körper und Sexualität“. Berühmt geworden sind ihre Schilderungen zum menschlichen Zeugungsakt. Der weibliche Orgasmus wird hier wohl zum ersten Mal aus Sicht einer Frau genau beschrieben.

„Drei Pfade hat der Mensch in sich… die Seele, den Leib und die Sinne“

Um diese drei Pfade in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen, damit der Mensch heilen kann, hat sich Hildegard von Bingen viele Gedanken gemacht. Auch wenn angebliche göttliche Visionen ihr den Weg gewiesen haben sollen, so hat sie doch mit ihren Einsichten die Welt bis in die Gegenwart geprägt. Bis heute ist die „Heilige Hildegard“ nicht nur bei religiösen Menschen ein Thema.

Ihre ausführlichen Notizen wurden schließlich in einigen Büchern zusammengefasst.
Als ihr religiöses Hauptwerk gilt das BuchScivias“ aus den Jahren 1141-1147, das mit „Wisse die Wege“ übersetzt wird. Hier wird eine enge Verflechtung von Welt-, Menschen- und Gottesbild dargestellt.

Die Schriften zur Naturkunde mit dem etwas sperrigen Titel aus dem Lateinischen übersetzt, „Das Buch von den Geheimnissen der verschiedenen Naturen der Schöpfung“, fanden erst später in dem gedruckten Werk „Physica“ ein breites Publikum. Hier beschreibt die Äbtissin allgemein verständlich über die Eigenschaften und Wirkungen von Bäumen, Kräutern, Metallen, Tieren und auch mehreren Edelsteinen.

So kann man Hildegard von Bingen als Wegbereiterin betrachten, die für eine europäische, moderne Steinheilkunde die Grundlage geschaffen hat. Auch heute berufen sich viele Menschen, die mit Heilsteinen arbeiten, immer noch auf die Texte der Äbtissin.

Der Begriff „Hildegard-Medizin“ wurde allerdings erst in den 1970er Jahren geprägt, als alternative Heilmethoden langsam an Bedeutung gewannen.

Die Heilsteine der Hildegard von Bingen

Das ausführliche Lexikon der Hildegard von Bingen umfasst 24 Heilsteine. Darin werden das Aussehen der einzelnen Steine und ihre Wirkkraft genau beschrieben. Die Anwendung der verschiedenen Heilsteine erweiterte das große medizinische Wissen der Ordensfrau des 12. Jahrhunderts. Erstaunlich sind die Beobachtungen der Hildegard von Bingen im Bereich der Heilsteine deshalb, weil sie die Erkenntnisse der heutigen Steinheilkunde vorwegnehmen oder Parallelen aufzeigen.

Fünf der bekanntesten „Heilsteine“ werden hier kurz angesprochen. Auch wenn manche Aussagen zugegebenermaßen doch ziemlich abenteuerlich klingen.

Der Amethyst als Heilstein

Zu den 24 Heilsteinen, die Hildegard von Bingen in ihrem Lexikon beschreibt, gehört unter anderem auch der Amethyst. Sie empfiehlt diesen violetten Stein, bei Flecken und Schwellungen der Haut oder bei Insektenstichen, auf die betreffende Stelle zu legen.

Der Jaspis als Schutz- und Heilstein

Vor Mondsucht und Dieben sollte der Jaspis schützen. Zugegeben, das klingt eher unglaubwürdig. Aber bei Kopfschmerzen sollte dieser Stein, auf die schmerzende Stelle gelegt, Linderung verschaffen. Das kann man doch leicht nachmachen… vielleicht hilft es tatsächlich, und unsere Leber muss eine Schmerztablette weniger verarbeiten.

Der Bergkristall als Heilstein

Laut Hildegard von Bingen konnte der Bergkristall bei Problemen mit der Schilddrüse helfen. Allerdings sollte man heutzutage bei ernsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen immer auch ärztliche Hilfe und die zeitgemäßen Erkenntnisse in Anspruch nehmen. Im Mittelalter steckten die medizinischen Behandlungsmethoden bekanntlich noch in den Kinderschuhen.

Praktisch anwendbar wird ein Bergkristall auch heute, wenn er dem Menschen, der ihn bei sich trägt, Ausdauer und Stärke schenkt. Hier kann man nichts falsch machen.

Der Bernstein als Heilstein

Ein Bernstein, den die Äbtissin „Ligur“ nannte, sollte bei Magenschmerzen zum Einsatz kommen. Auch wer Schwierigkeiten beim „Wasserlassen“ hatte, konnte durch den Bernstein Linderung erfahren.

Der Achat als Heilstein

Achate sind vielgestaltig und wurden von der Ordensfrau bei Augenleiden, Fieber und Herzbeschwerden verwendet.

Der Topas als Orakelstein

Einige Beobachtungen der Hildegard von Bingen klingen für uns heute allerdings doch ziemlich seltsam. So sollte der Topas stark „schwitzen“, wenn er neben Speisen lag, die vergiftet waren… Sicherlich eine beliebte und effektive Methode unliebsame Menschen loszuwerden.

Aber ob ein Topas dies verhindern kann, indem er warnende Flüssigkeit absondert, kann mit Recht bezweifelt werden. Allerdings könnte diese Behauptung auch als Abschreckung gedient haben, damit latente Giftmischer gar nicht erst ans Werk gingen:)

Die Kraft und Strahlen der edlen Steine

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Nach der Auffassung von Hildegard von Bingen hatte Gott die Edelsteine nicht nur als schmückendes Beiwerk auf die Erde gebracht, sondern auch um für den Menschen eine Hilfe bei Krankheiten zu sein. Immer wieder schreibt sie deshalb über die „Kraft und Strahlen“, die von diesen besonderen Heilsteinen ausgesandt werden. Diese Ausstrahlung sollte direkt vom Stein auf den Menschen wirken, oder durch Flüssigkeiten, in die Edelsteine gelegt wurden, innerlich ihr Werk verrichten. Ihre in Bier erhitzten Amethyste waren wahrscheinlich die deutsche Version und Interpretation der griechischen Amethyst-Weine aus der Antike.

Die Bedeutung von Hildegard von Bingen

Die Tatsache, dass die Äbtissin des Klosters Rupertsberg die erste Frau war, die vom Papst die Erlaubnis bekam, öffentlich zu predigen und die dazu erforderlichen weiten Pilgerreisen zu unternehmen, zeigt ihren hohen Einfluss zu Lebzeiten. Die Kirche nutzte Hildegards Beliebtheit und Ausstrahlungskraft, um entstehende Kritik am katholischen Glauben zu besänftigen.

Die selbstsichere Ordensfrau wiederum konnte mit wachsender Bedeutung ihre Überzeugungen und politischen Ziele leichter durchsetzten. Durch umfangreiche Korrespondenz auch mit weltlich Mächtigen wuchs ihre persönliche politische Bedeutung, sodass ihr Name und Kloster europaweit bekannt wurde.

Zeitgenössische Kritik

Da Hildegard von Bingen ihren Nonnen erlaubte geschmückt zu Festgottesdiensten zu erscheinen, und sie zudem nur adlige Frauen in ihrem Kloster Rupertsberg aufnahm, wurde sie von anderen Klosterleiterinnen heftig kritisiert. Doch Hildegards Ruf hatte dem Kloster sehr viele Güter eingebracht, sodass einfach ein weiters Kloster erworben werden konnte, in dem als Tochterkloster auch nicht Adlige aufgenommen wurden. Denn von der Notwendigkeit einer Trennung der verschiedenen Stände war die sonst so fortschrittliche, aber aus adeligen Verhältnissen stammende, Nonne dann doch überzeugt.

Ehrungen – post mortem

Auch heute noch beschäftigen sich viele Forschungsgruppen weltweit mit der Äbtissin aus dem 12.Jahrhundert. Hildegard von Bingen gilt als die erste Vertreterin der deutschen Mystik des Mittelalters. Durch ihr weitreichendes Interesse entstanden impulssetzende Schriften zum Thema Religion, Ethik, Kosmologie, Musik und Medizin, die immer noch zu Diskussionen anregen.

Im Jahre 2012 wurde die „Heilige Hildegard“ von der katholischen Kirche zusätzlich noch mit dem Titel „Kirchenlehrerin“ ausgezeichnet, was die Bedeutung dieser Persönlichkeit ein weiteres Mal unterstreicht.

Bild: @ depositphotos.com / jochenschneider